Dienstag, 1. März 2011

Zeichen der Zeit?

Die Redaktion von Christ in der Gegenwart nahm in der aktuellen Ausgabe die lebhaften Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt zum Anlass, in ihrer Rubrik Der aktuelle Artikel unter dem Titel Zeichen der Zeit ein grundsätzliches Statement zu formulieren, um die Reformationsbestrebungen in der katholischen Kirche journalistisch zu unterstützen (1).

"Die schweren Unruhen in der arabischen Welt", heißt es dort, "sind auch ein Aufstand junger Leute gegen die ewige Herrschaft der alten Männer, ihrer Sippen und Erben, die bloß fortsetzen, was immer schon war."
Aha. Diejenigen, die nach Reformen rufen, sind also schon allein aus demographischen Gründen vor allem "junge Leute", die gegen eine "ewige Herrschaft der alten Männer" aufbegehren. Das Anmahnen von Reformen hat demzufolge also etwas mit Jugend(lichkeit) zu tun - also auch damit, geistig jung geblieben zu sein. Schließlich ist ja auch die Tatsache des ewigen Generationenkonflikts eine Binsenweisheit

Und weiter geht 's im folgenden Absatz: "Schon jetzt warnen weitsichtige Religionsgelehrte, dass es für den Islam höchste Zeit sei, sich Reformen zu öffnen."
Aha. Es sind die "weitsichtigen", d.h. die modernen (= die guten) unter den Islamgelehrten, die Reformen einfordern, denn schließlich ist das Anmahnen von Reformen - auch so eine Binse - stets ein Zeichen von Weitsichtigkeit.

Der Begriff führt sofort zur Überleitung: "In Lateinamerika wenden sich Scharen vom Katholizismus ab, weil er es trotz fünfhundertjähriger Dominanz nicht geschafft hat, Modernität und Fortschritt zu bringen, die der Freiheitsgeist des - calvinistischen - Protestantismus in Nordamerika bewirkte."
Aha. Der "Freiheitsgeist des - calvinistischen - Protestantismus" hat also in den USA "Modernität und Fortschritt" gebracht, während Lateinamerika rückständig blieb.

Und schon wartet die "Argumentation" übergangslos mit dem Paukenschlag auf: "Die Vorgänge im islamischen Zivilisationskreis sind auch eine ernste Warnung an Macht und Amt in der Kirche. Wer - ob aus Ängstlichkeit, Starrsinn oder Ordnungswillen - anhaltend Reformen verweigert, wird geistigen Niedergang ernten."
Aha. Achtung! Achtung! Wer sich gegen Reformen sperrt, den wird die Geschichte hinwegfegen. Resistence is futile!

Da sind sie also wieder, die besorgten und verantwortungsvollen Christinnen und Christen, die in Sorge um "die Kirche" nicht länger schweigen können, die endlich aufbegehren wie die unterdrückten Massen in der arabischen Welt, um die "alten Männer, ihre Sippen und Erben", den "bleiernen Stillstand", die "selbstverschuldete[] Unmündigkeit" (Holla! Immanuel! ;-) ), die "patrarchalische[] Gerontokratie" abzuschütteln.

Klingt toll!

Was die Aufstände angeht, kommt die Argumentation allerdings über selektiv versammelte Massenmedien-Platitüden nicht hinaus. Was hier über die sozialen Hintergründe des Aufbegehrens abgesondert wird, zeigt jemandem, der tatsächlich Kontakte zum Muslimen und in die arabische Welt hat, allzu deutlich die Ignoranz und Borniertheit postkolonialen Denkens - insbesondere was die Haltung gegenüber "dem Islam" angeht. Flott springt der Gedanke vom als reformbedürftig definierten Islam zur als reformbedürftig definierten katholischen Kirche, bei der wir es ja auch mit einer "patriarchalischen Gerontokratie" zu tun haben, liebe "verantwortungsvolle Christinnen und Christen", nicht wahr?

Abgesehen davon, dass es dann wohl der "Freiheitsgeist des - calvinistischen - Protestantismus" ist (war da nicht was mit Prädestination ...?), der sich nicht nur im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten üppig regt, wo "Modernität und Fortschritt" auf ganz besondere Weise gehuldigt wird. Zugleich wird die wirtschaftshistorische und politische Entwicklung der beiden Teilkontinente auf das jeweilige konfessionelle Übergewicht reduziert, was hübsch opportun ist - aber schlicht Bockmist. Aber um das zu merken, müsste man ja etwas über amerikanische Geschichte wissen.
(Ich hatte angenommen, dass CiG-Leser und -Macher sofort die Befreiungstheologie und auch Oscar Romero und damit als deren Voraussetzung die üble Verquickung zwischen US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen, resultierend auch (!) aus dem "Freiheitsgeist des - calvinistischen - Protestantismus" und den rein weltlichen Machtinteressen stinkreicher lateinamerikanischer Großgrundbesitzer und Politibonzen in den Sinn gekommen wäre - aber so weit langt's offenbar nicht.)

Jetzt mal Butter bei die Fische, meine Damen und Herren der CiG-Redaktion: Wenn Sie wirklich der Überzeugung sind, die Sie in Ihrem "aktuellen Artikel" gemeinsam formuliert oder auch nur abgesegnet haben, dann haben Sie sich gerade zum Gespött gemacht - nicht zuletzt für die so genannten Neuen Humanisten und Naturalisten, deren populärster deutscher Vertreter Michael Schmidt-Salomon 2008 in einem Vortrag in Berlin sagte: "Wären alle Religionsgemeinschaften weltweit auf dem Stand der EKD, bräuchte man wohl keinen neuen Atheismus." (2) Denn auf diesem Stand sind sie. Ganz ohne Konvertierung. Immerhin haben Sie Reform und Reformation in Ihrem Textlein oft genug positiv beschworen. Und sie haben deutlich gezeigt, dass Ihr Bild von Kirche das eines geschichts- und religionswissenschaftlich auswertbaren gesellschaftlichen Phänomens mit Aufgaben im karitativen Bereich und in der Freizeitgestaltung ist, wobei letztere bezwecken soll, im Hier und Jetzt ein ganzheitliches Wohlbefinden (= Wellness) jedes Individuums zu befördern.


So richtig entlarvt, meinen Damen und Herren, haben Sie sich allerdings schon weit früher im Text: "Momentan steht die Al-Qaida-Bewegung, die ebenfalls von einem Greis angeführt wird, zur Machtübernahme bereit. (Anm. der Verf.: An welchen Greis haben Sie denn da gedacht? Sicherlich nicht an Karlheinz Deschner, Gotthold Hasenhüttl oder Hans Küng ...) Auf Dauer allerdings wird die jetzige Entmythologisierung von Herrschaft vermutlich ebenso die religiösen Systeme erfassen und aushöhlen."
Aha, darum geht es also: Die Aushöhlung der "religiösen Systeme".

Gut zu wissen, meine Damen und Herren - denn das wirft ein weiteres bezeichnendes Licht auf ihr Bild von Kirche. Man sieht deutlich, was dabei herauskommt, wenn liturgische Experimente und das "Entgegenkommen gegenüber den (Freizeit-)Bedürfnissen der Menschen" dazu führen, dass die zweite Lesung regelmäßig ausfällt... ;-)

Was mich übrigens hinsichtlich der Diagnose "Gerontokratie" stutzig macht, ist, dass CiG mir nahezu ausschließlich von Vertretern meiner Elterngeneration oder älter empfohlen wird (wohlgemerkt: Ich bin Jahrgang 1963). Die Verfechter des Reformkurses und ihre gebetsmühlenartig wiederholten Forderungen sind als Zeitgenossen der Würzburger Synode nämlich ebenso in die Jahre gekommen wie Gaddafis Revolution. Dereinst fegte ein schneidiger junger Oberst die "patriarchalische Gerontokratie" von König Idris (d.h. "die alten Männer, ihre Sippen und Erben"!) hinweg. Und wie Gaddafis Grünes Buch heute wie ein Fossil wirkt, so geht es längst nicht nur mir mit den seit vier Jahrzehnten unveränderten und gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen des organisierten Laienkatholizismus und seiner journalistischen MitstreiterInnen.



1) Quelle: Zeichen der Zeit. Inwiefern der Artikel die Meinung der gesamten Redaktion widerspiegelt, ist mir nicht bekannt; da anstelle eines Autorennamens unter dem Titel "Von der CIG-Redaktion" steht, gehe ich von eier einmütigen Meinungskundgebung aus.


2) Dr. Michael Schmidt-Salomon (Giordano Bruno Stiftung): Vom neuen Atheismus zum neuen Humanismus? (Vortrag auf der Tagung „Neuer Atheismus und moderner Humanismus“, Berlin 25.4.08)

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