Das Ergebnis war so vorhersehbar wie langweilig. Der Herr Lüdemann, der 1998 mit seiner historisch-kritischen Generalabrechnung Der große Betrug Furore machte, darf selbstverständlich kein gutes Haar an einem Buch lassen, das seiner eigenen Position widerspricht.
Denn schließlich definiert der Herr Lüdemann sich durch den Widerspruch: Obwohl er sich seit 1998 als "Nicht-mehr-Christ" bezeichnet, beharrt er darauf, dass der von ihm gehaltene Lehrstuhl der evangelisch-theologischen Fakultät der Uni Göttingen zugerechnet werden müsse, denn:
Solange Theologie an der Universität
bleibt, hat sie gefälligst zu forschen und zu informieren, nicht zu
offenbaren und zu predigen, zur Mündigkeit in Sachen Religion zu
erziehen und nicht zur Hörigkeit gegenüber einem alten Aberglauben zu
verleiten, so modern der sich auch geben mag.
(aus: Lüdemann, Gerd: Im Würgegriff der Kirche. Verlag zu Klampen, Springe 1998)
Das äußert er in der felsenfesten Überzeugung, es könne "nur eine Wissenschaft geben [...], die sich mit Religionen der Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt" (ibid.). Sein Mitstreiter in Sachen Aufklärung, Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung), klärt auf:
An die Stelle der klerikal bevormundeten
theologischen Fakultäten sollten Lüdemann zufolge unabhängig forschende
religionswissenschaftliche Institute treten. Ihre Aufgabe wäre es, den vielfältigen
Glaubensüberzeugungen der Menschen mit der gleichen kritisch-wissenschaftlichen
Unvoreingenommenheit zu begegnen.
(aus: Schmidt-Salomon, Michael: Kirche und Kritik II: Der Fall Lüdemann, in: Materialien und Informationen zur Zeit, 2/2000)
Lüdemann selbst begründet sein Beharren damit, dass es nicht von Nachteil sei, wenn ein Nicht-mehr-Christ an einer konfessionellen theologischen Fakultät unterrichte, denn:
Stimmt der Inhalt des christlichen Glaubens, so können meine in der Überzahl befindlichen Kollegen meinen Irrtum ja zurechtrücken. Stimmt er aber nicht, ist es für die Studierenden nur von Vorteil, rechtzeitig eine Neuorientierung vornehmen zu können.
(aus: Im Würgegriff, a.a.O.)
Die akademische Posse wurde 2008 vom ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts beendet. Der Herr Lüdemann ist zwar Professor geblieben, aber aufgrund seines Sonderstatus' seither der Möglichkeit beraubt, angehenden Pastoren und Religionslehrern durch seine objektiven Erkenntnisse zu einer Neuorientierung zu verhelfen.
Das hält den Herrn Lüdemann allerdings nicht davon ab, sein ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Sowohl Band I der besagten Jesus-Biographie, die Papst Benedikt ganz bewusst unter seinem bürgerlichen Namen Joseph Ratzinger veröffentlicht hat, als auch den kürzlich erschienenen zweite Band spannte der Herr Lüdemann auf seinen Seziertisch, um mit den Mitteln seiner absolut objektiven und höchst wissenschaftlichen Methodik eine Autopsie vorzunehmen. Eine Methodik, über die Rudolf Walther, selbst kein Freund des Papsttums, in einem anderen Zusammenhang (nämlich dem Medienrummel um die Piusbruderschaft) schrieb:
[...] die Art, wie Lüdemann kritisiert, weist ihn als intellektuell
grobschlächtigen Religionskritiker und Zwillingsbruder der katholischen
Fundamentalisten aus. Denn wie diese, liest auch er die Bibel wörtlich -
freilich nicht, um ihr beizustimmen, sondern um sie "wissenschaftlich"
zu widerlegen. Vom Podest der historisch-kritischen Bibelkritik herab
sieht er das Neue Testament "stark von Antijudaismus geprägt", weil er
die Bibel wie eine historische Quelle liest - oder wie ein Koranschüler
den Koran - und nicht wie eine durch und durch vom Glauben geprägte
Sammlung von Geschichten, Legenden und Gleichnissen. Solche
rustikal-naive Bibelkritik, die sich zu Unrecht "historisch-kritisch"
nennt, übernimmt sich und fällt in einen Selbstwiderspruch, wenn sie
dekretiert: "Die ganze frühchristliche Lehre steht auf tönernen Füßen.
Sie wurzelt in Glauben an die Auferstehung. Diese hat aber nie
stattgefunden." Da fragen sich weniger Eifernde und aufgeklärte
Nicht-Gläubige nur, woher Lüdemann das so genau weiß. Glauben darf er seinen Satz allemal. Aber er war so wenig "Augenzeuge" wie die Evangelisten, denen er genau das vorwirft.
(aus: Der Gott der Vernunft, in: taz vom 16.2.2009)In der Frage, ob man "die Bibel wie eine historische Quelle [...] und nicht wie eine durch und durch vom Glauben geprägte Sammlung von Geschichten, Legenden und Gleichnissen" lesen dürfe oder nicht, werden Rudolf Walther und ich wohl nicht zusammenkommen; denn streng genommen sind alle historischen Quellen von der jeweiligen subjektiven Weltsicht ihrer Verfasser geprägt und somit gibt es keine einzige "echte" (d.h. objektive) historische Quelle, sondern nur historische Quellen mit graduellen Unterschieden in der subjektiven Färbung durch den Autor, die man durch eine systematische hermeneutisch-kritische Betrachtung (unter Berücksichtigung des eigenen historisch bedingten Standpunkts!!!) zumindest bis zu einem gewissen Grad herausarbeiten kann.
Auf den Herrn Lüdemann übertragen heißt das: Der Mann hat die historisch-kritische Methode ad absurdum geführt, indem er seinen eigenen Standpunkt quasi aus eigener Vollmacht als absolut und objektiv setzte. Das allerdings ist zutiefst unwissenschaftlich und entlarvt die für diesen eigenen Standpunkt behauptete "kritisch-wissenschaftliche Unvoreingenommenheit" als exakt jene intellektuelle Grobschlächtigkeit, die Rudolf Walther diagnostizierte.
Der Herr Lüdemann mag wettern, was er will - mehr als die ständige Wiederholung ewig gleichlautender Phrasen kommt dabei nicht herum: dass Jesus, ein rein jüdisch-politischer Messias, gescheitert und am Kreuz gestorben sei, hätten seine Jünger nicht ertragen und somit die Auferstehung halluziniert; Paulus habe aufgrund weiterer Halluzinationen das Christentum erfunden; die Evangelien seien immer wieder den Bedürfnissen des Kirchenapparates angepasste, d.h. gefälschte Versionen früherer, mündlich überlieferter Berichte; die Hälfte der Briefe seien ebenfalls Fälschungen, das ganze Christentum demzufolge nichts als ein "großer Betrug".
Prägnant dazu erwiderte der Herr Lüdemann in einem in der Heiligabendausgabe 2009 erschienenen Interview in der Jungen Welt auf die Frage, ob die Bibel im wesentlichen eine Lügengeschichte sei:
Das kommt auf den Standpunkt an – Lüge heißt ja "bewußte Täuschung". Die
ersten Christen waren sicherlich nicht gebildet genug, um zu wissen,
was sie tun. Für spätere Ausschmückungen – etwa seit dem 2. Jahrhundert–
ist allerdings ist der Begriff "Lüge" durchaus angemessen.
(aus: "Das Wort Lüge ist für die Bibel durchaus angemessen", in: Junge Welt vom 24. 12. 2009, S. 8)
Die vollmundig mit den Worten Benedikts Jesus hat es nie gegeben betitelte Glosse (Frankfurter Rundschau vom 9. 3. 2011) ist ebenso wie ihre Vorgängerin (Eine peinliche Entgleisung, Spiegel online am 26. 4.2007) kaum mehr als eine wiederaufbereitete Kurzversion seines eigenen Buches Das Jesusbild des Papstes.
Eigentlich hat der Herr Lüdemann sich schon mit dem ersten Halbsatz (Hervorhebung von mir) seiner "Buchbesprechung" diese und zugleich sich selbst desavouiert:
Vor knapp vier Jahren veröffentlichte Benedikt XVI. (im Folgenden B.) den ersten Teil seines Buches "Jesus von Nazareth" [...].
.
Es scheinen sich offenbar noch so viele Menschen für die FR zu interesieren, daß M. DuMont Schauberg die Stellen drastisch kürzt und teilweise auslagert. Manche Probleme lösen sich auf Dauer von selbst und andere dafür biologisch.
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