Donnerstag, 17. Februar 2011

Mangelnde Flexibilität


Vor nicht allzulanger Zeit war ich auf einer Geburtstagsfeier Zeugin eines Gespräches über Ökumene, wobei sich darüber ein kritischer Katholik und vier Protestanten unterhielten. Ich zog es vor zuzuhören. Beklagt wurde die Reformunwilligkeit der Katholischen Kirche, ihre starre Hierarchie, ihre Ewiggestrigkeit, ihr Beharren auf unsinnigen Ritualen und Vorschriften wie z.B. Unauflösbarkeit der Ehe, Priesterzölibat, Geringschätzung von Frauen (weil Frauen keine Ämter innehaben dürften) usw. Alle fünf gingen ohnehin nur zu Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen in die Kirche (also auch die protestantischen Mitchristen), finden es zwar toll, wenn wie bspw. bei den freikirchlichen Gemeinden jeder verkündigen und predigen dürfe, würden aber deshalb keineswegs regelmäßig in die Kirche gehen - auch den Katholiken würde die Abschaffung  unsinniger Rituale und Vorschriften nicht zum Besuch des Gottesdienstes bewegen.

Ein katholisch getaufer Christ, der überzeugt ist, bei der Kommunion werde "sowieso bloß ein Keks" ausgeteilt, hat vom Katholizismus längst verabschiedet - insbesondere wenn er sowieso nur noch zu besonderen Gelegenheiten einen Gottesdienst besucht. Evangelische, protestantische oder reformierte Glaubensgeschwister, die dieselbe Menung äußern, entziehen der Ökumene jegliche Grundlage; man kann dann noch gemeinsam beten, aber ein gemeinsamer Gottesdienst wird zur Farce.

Trotzdem ist das größere Problem der katholische Christ, der meint, die Kirche müsse sich nach den Entwicklungen in der säkularen Welt richten, weil sie sonst unglaubwürdig (!) werde, so dass ihr die Leute wegliefen, und weil darin die mittelbaren und unmittelbaren Lösungen für ihre Probleme und Krisen lägen.

Genau das tun die Verfasser des Memorandums - und die Unterzeichner unterstützen das.

Die Kerngedanken des Memorandum sind natürlich nicht ur-reformatorisch, allerdings neu-reformatorisch (wir leben schließlich nicht im 16., sondern im 20./21. Jh.!), nämlich an der Theologie und an den Gegebenheiten der überwiegenden Zahl der jetzigen evangelischen, protestantischen und reformatorischen Kirchen und Gemeinden ausgerichtet. Diese Kirchen und Gemeinden haben im Verlauf des 20. Jhs. eine Entwicklung genommen, die mit den Vorstellungen der Reformatoren nicht mehr viel zu tun haben. Die einzelnen Punkte des Memorandums zeigen deutlich, dass nach Ansicht der Verfasser diesen Entwicklungen nachzueifern sei.

(Randbemerkung: Heutzutage würde Luther seine 95 Thesen zwar tw. überarbeiten, aber in der gewohnten Schärfe und Zuspitzung formulieren - und zwar gegen sämtliche Konfessionen! Und man würde ihn zweifelsohne als einen stockkonservativen Erzreaktionär, als einen frauenfeindlichen, chauvinistischen, xeno- und homophobe Antisemiten an den medialen Pranger stellen.)

Selbstverständlich nehme ich den Unterzeichnern des Memorandums ihre Sorge um die Kirche ab! Die Sorge kommt ja nicht von ungefähr, und es ist auch nicht so, dass diejenigen, die die Petition Pro Ecclesia unterzeichnen, der Ansicht sind, dass man alle Probleme, die uns in der katholischen Kirche umtreiben, allein durchs Beten lösen könne.

Die Unterzeichner und Unterstützer des Memorandums orientieren sich allerdings so gar nicht am Glauben, und obwohl von Theologen verfasst, findet sich im Text des Memorandums kein theologisches Argument, sondern nur solche aus den empirischen Wissenschaften. Die Sorge bezieht sich ausschließlich auf die Kirche als karitative Instituition. Da wird in stark verkürzter Weise soziologisch, politologisch, ein bisschen juristisch und ansatzweise psychologisch - also ausschließlich ad hominem - argumentiert - aber mehr Theologie als den Satz, die Kirche habe "den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden" sucht man vergebens.
Auch die "biblische Freiheitsbotschaft" wird nur als Metapher für den heutigen rein politisch-gesellschaftlichen Freiheitsbegriff ("Freiheit von ...") verwendet. Schon die in der Wahl des Domainnamens memorandum-freiheit.de unterstrichene Reduzierung des Argumentationszieles auf das Schlagwort "Freiheit" schmeckt gallig. Denn hier wird mit einem modernen Freiheitsbegriff hantiert, nicht mit dem des Neuen Testaments, mithin auch nicht mit der "biblischen Freiheitsbotschaft" - die Begrifflichkeit ist nichts als ein rhetorisches Feigenblatt.
Was diese inhaltliche Verdrehung angeht, müssen sich die Verfasser und Unterzeichner den Vorwurf übler Absichten gefallen lassen; denn von einem graduierten katholischen Theologen kann man erwarten, dass ihm die Bedeutungsunterschiede und der Bedeutungswandel, die Unterscheidung zwischen dem theologischen und dem politisch-gesellschaftlichen Freiheitsbegriff bewusst sind!

Völlig diskreditiert hat sich das Unternehmen in meinen Augen damit, dass die Argumentation schon im ersten Satz am Missbrauchsskandal aufgehängt wurde. Damit war einerseits die sofortige Aufmerksamkeit der Medien garantiert, andererseits - und das ist bei akademischen, d.h. wissenschaftlich ausgebildeten Verfassern besonders erschütternd - konnte mit diesem Skandal als Aufhänger zu jeder der Argumentationen letztendlich eine küchenpsychologische Begründung suggeriert werden ("Wenn Priester Sex haben dürften / wenn Frauen Priester sein dürften / wenn die Gemeinden / wenn ich mitzureden hätte[n], dann wäre das alles erst gar nicht passiert!").

Ich behaupte nicht, dass böse Absicht hinter dem Text wirksam war - ich bin mir sogar sicher, dass die Verfasser im besten Glauben gearbeitet und das Ganze nur gut gemeint haben. Doch wie so oft, ist "gut gemeint" auch in diesem Fall das exakte Gegenteil von "gut". Veröffentlicht wurde das Memorandum als Antwort auf die Dialoginitiative, gefolgt von einer Unterstützerliste. Es ist eine aggressive Antwort, eine die deutlich macht, dass diese Theologen nicht den Dialog wollen, sondern die Meinungshoheit. Es ist ein Dokument der Spaltung.
Besonders tragisch daran ist, dass die Gedankengänge des Memorandums vor allem in einem Punkt auf die Verfasser und Unterzeichner zurückfallen: Sie werfen der Kirche vor, ein starrer Apparat zu sein, unflexibel und ängstlich - dabei haben sie selbst sich (wie der eingangs erwähnte Katholik) längst vom katholischen Glauben entfernt, sind jedoch selbst zu unflexibel und ängstlich, um den Wechsel dorthin, wo die rettenden Forderungen bereits verwirklicht sind, zu vollziehen.

Dass sie letztendlich auch eine der Kardinaltugenden des Säkulardarwinismus, Flexibilität, für sich selbst beanspruchen, verleiht dem Ganzen ein zusätzliches "G'schmäckle".

"Die Kirche ist kein Selbstzweck." -Nein, das ist sie sicherlich nicht. Aber sie ist weder Gottes Werbeagentur noch ein therapeutisches Dienstleistungsunternehmen und schon gar nicht die Heimstatt eines relativistischen laissez-faire, das die Eigenverantwortlichkeit zum Alleinstellungsmerkmal von Menschenwürde macht.
Kirche ist Heilsgemeinschaft. Der mystische Leib Jesu Christi. Die synchrone und diachrone Einheit der Getauften.

Doch kein Wort davon ist in diesem Text zu lesen.

"Das religiöse Problem verschärft sich täglich, weil die Gläubigen keine Theologen und die Theologen nicht gläubig sind." (Nicolás Gómez Dávila, 1913 - 1994 - gefunden bei Laurentius Rhenanius)

2 Kommentare:

  1. Trefflich beschrieben!
    Es melden sich, Gott sei es gedankt, auch andere Stimmen. Prof. Ockenfels, der übrigens schon vor einiger Zeit der CDU ins Stammbuch geschrieben hat, meldet sich pointiert zu Wort!
    http://www.kath.net/detail.php?id=30158

    Viel Freude mit dem Artikel!

    AntwortenLöschen
  2. Danke für den Link!

    Aber vor allem: Danke für das treffliche Zitat.
    Nichtsdestotrotz gilt auch in diesem Falle (wie bei allen Aussagen mit unbestimmten Angaben), dass nicht alle Theologen ungläubig sind, denn es sind ja auch *einige* Gläubige Theologen. ;-)

    AntwortenLöschen