Sonntag, 9. Januar 2011

Liturgiekr(e)ise

In der heutigen Messe wurde darauf hingewiesen, dass der Pfarrgemeinderat unserer Gemeinde (eigentlich: derjenigen Gemeinde in unserem Pfarrverbund, der wir uns am stärksten zugehörig fühlen) beschlossen hat, einen Liturgiekreis zu gründen. Anlass war das Erlebnis eines Gottesdienstes in einer Aschaffenburger Gemeinde während einer Klausurtagung des PGR.

Über den Gottesdienst in Aschaffenburg maße ich mir kein Urteil an - schließlich war ich nicht dabei. Es ist ja auch wirklich zu begrüßen, wenn die Möglichkeiten für Laien in der Liturgie, die ja durchaus über die Dienste als bspw. Lektor, Kantor oder Katechet hinausgehen, ausgeschöpft werden.

Nichtsdestotrotz gibt es ein Problem, und dieses Problem fußt auf dem vielfach gestörten Verhältnis, dass in Europa die katholischen Christen zur Kirche haben.

Weltweit wächst die Gemeinschaft der katholischen Christen - in Europa schrumpft sie. Weltweit steigt die Zahl der priesterlichen Berufungen - in Europa schrumpft sie. Nur die Zahl der Katecheten folgt auch in Europa dem weltweiten positiven Trend, während die der Ordensberufungen nur in Afrika und Asien eine positive Tendenz zeigt. (Quelle: agenzia fides)

Europa befindet sich in einer Phase des Säkularismus, weltanschaulich gilt der Grundsatz "anything goes" auf der Basis der Goldenen Regel, zugleich wird Religion als Privatsache betrachtet, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit zunehmend abgelehnt. Sie steht im Ruf, Ausdruck von Unfreiheit und Unterdrückung, ja sogar alleine Ursache für jede Form von Totalitarismus zu sein.

Wenn eine muslimische Frau oder ein muslimisches Mädchen ein Kopftuch tragen, erweckt das sofort Argwohn - wobei dieser Argwohn darin liegt, dass man denkt, diese Tracht bringe eine Haltung zum Ausdruck, die im Widerspruch zu unseren Wertvorstellungen stehe. Dieser Argwohn breitet sich auch hinsichtlich der Anbringung von Kruzifixen und Kreuzen als religiösen Symbolen in öffentlichen Räumen aus: Eltern klagen die Entfernung religiöser Symbole aus Schulen ein, an den Wänden von Gerichtssälen erinnert oft nur ein blasser Schatten daran, dass an dieser Stelle einmal ein solches hing. All dies ist Ausdruck der verbreiteten Angst vor der Infragestellung des Grundsatzes "anything goes", die für eine Beschränkung der individuellen Persönlichkeitsrechte, der persönlichen Freiheit gehalten wird. Sogar die Angst vor Überfremdung ist nichts weiter als ein Ausdruck genau dieser Befürchtung.

Dieselbe Angst drückt sich vielfach auch in der Ablehnung der traditionellen Liturgie aus, die als "nicht zeitgemäß" angesehen wird. Nicht nur aus meiner Erfahrung als Firmkatechetin weiß ich, dass Kenntnisse um die eigene Religion trotz (oder vielleicht sogar wegen?) des staatlich geordneten Religionsunterrichts rudimentär bis nicht vorhanden sind. Wenn ich aber einem Prozedere beiwohne, dessen Sinn ich nicht erkenne, ist es bestenfalls eine interessante Beobachtung, wahrscheinlich aber merkwürdig oder gar langweilig - auf jeden Fall erscheint es "sinnlos". Da die Kirche auf diesen Formen beharrt, gilt sie als starr, als überholt, als reformbedürftig. Das Fremde ebenso wie das Fremdgewordene machen uns nun einmal Angst.

Als Katholiken stehen wir in einer jahrtausendealten religiösen Tradition, einer Tradition, die in den meisten Jahrhunderten lebendig war und gelebt wurde, sooft sie jedoch den Menschen fremd wurde, zu Spaltungen führte, die oft sogar zu politischen Zwecken missbraucht wurden (und das in den meisten Fällen von weltlichen Machthabern). In Europa sind diese lebendigen Traditionen wieder einmal ausgedörrt, die Kenntnisse geschwunden. Die Zahl der Angehörigen der katholischen Kirche mindert sich von Jahr zu Jahr, weil Glaube nicht (mehr) gelebt wird und die Taufe weithin als obsolet gilt; schließlich soll sich ein Kind eines Tages bewusst und frei entscheiden können, welche Weltanschauung es richtig findet - eine hübsche Wunschvorstellung, allerdings eine ziemlich hohle.

Jetzt also ein Liturgiekreis, um die (gefühlte) Liturgiekrise zu überwinden.

Beruhigend an der Sache ist, dass in der Ankündigung die Hoffnung geäußert wird, es könne den Teilnehmern vielleicht (!) gelingen, "sich zunächst selbst bewusst werden zu lassen, womit jeder seit Jahren vertraut ist". Katechese also. Das lässt hoffen.

Ich habe mich schon mal gemeldet und hoffe auch, dass das niemandem im PGR eiskalte Schauer über den Rücken gejagt hat. ;-)

3 Kommentare:

  1. >>Europa befindet sich in einer Phase des Säkularismus, weltanschaulich gilt der Grundsatz "anything goes" auf der Basis der Goldenen Regel, zugleich wird Religion als Privatsache betrachtet, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit zunehmend abgelehnt.<<

    Einverstanden – bis auf den Zusammenhang von Relativismus und Goldener Regel. Das gehört für meine Begriffe so nicht zusammen. Es ist richtig (und traurig genug), dass der Grundsatz „anything goes“ vorherrscht, die Goldene Regel als dessen Basis zu bezeichnen, halte ich für falsch. Die Goldene Regel ist ja erst mal nur ein Metaprinzip der Moralität, das Empathie einfordert. Das ist ja schon mal nicht schlecht.

    Dann kann man aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte und ihres Auftretens in verschiedenen Kulturen und Religionen sagen, dass sie ein Beispiel für ethische Universalität ist, und zwar nicht bloß als Möglichkeit oder Absicht, sondern als Tatsächlichkeit. Die Universalität der Goldenen Regel ist nicht allein proklamatorisch, sondern faktisch. Es kennt sie halt (fast) jeder. Auch das ist nicht schlecht, wie ich finde.

    Also: Ich finde, Sie werden der Goldenen Regel nicht gerecht, wenn Sie sie in die Nähe relativistischer Moral rücken. Denn wenn ich sie wirklich beachte, geht ja gerade nicht „anything“, sondern nur das, von dem ich will, dass auch ich es bekommen, erfahren, erleiden etc. sollte, wenn ich in der Situation dessen wäre, der etwas tatsächlich bekommt, erfährt, erleidet etc. „Behandele jedermann so, wie du selbst an seiner Stelle wünschtest behandelt zu werden.“ (Hans-Ulrich Hoche) Das ist doch schon mal nicht schlecht, oder?

    Herzliche Grüße,
    Ihr
    Josef Bordat

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  2. Zugegeben, ich habe mich unpräzise ausgedrückt. Die "Goldene Regel" besagt zunächst einmal, dass man andere so behandelt, wie man selbst behandelt werden will. Empathie setzt das nicht zwingend voraus; denn es besteht auch die Möglichkeit einer egozentrischen Deutung, in der man sich nicht in die anderen hineinfühlt und -denkt, sondern voraussetzt, die anderen sind so wie ich oder so, wie ich sie haben will. In diesen Fällen sind wir noch nicht bei der Empathie.
    Genau darin sehe ich den Kerngedanken der derzeit populären Form des Relativismus: Man nimmt sich alle Freiheiten heraus außer denen, deren "backlash" einen selbst treffen könnte (Unbeliebtheit im eigenen Umfeld, zivil- bzw. strafrechtliche Konsequenzen usw.), und bei den anderen wird dabei vorausgesetzt, sie seien so (bzw, hätte so zu sein), wie man selbst ist.
    D.h. wenn die anderen anders sind als man selbst, ist es ihr Problem, wenn ein Verhalten sie schädigt, beleidigt usw.
    In dieser Weise wird auch die Aggressivität der Vertreter des "neuen Atheismus" (oder Naturalismus oder Humanismus) gegenüber Gläubigen rechtfertigt: Diese würden ja nicht durch die Einstufung als geistesgestört, zurückgeblieben oder was auch immer beleidigt, denn wenn sie vernünftig usw, wären, wären sie ja nicht gläubig, sondern würden genauso denken, wie man selbst.

    Der Grundsatz "Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst" wird als durchaus zutreffend angesehen, weil man ja überzeugt ist, wäre man so wie das Gegenüber, müsste man es im Innersten der Restvernunft wollen, so behandelt zu werden, um wieder zur Vernunft zu kommen.

    Im Grunde lautet das ethische Prinzip: "Du darfst alles, wenn du damit nicht Leute, die genauso gescheit sind, wie du es schon bist, nicht schädigst."

    Das ist keine philosophische Bestimmung, sondern nur "matter of fact" (dieser Amerikanismus ist hier absichtlich gewählt).

    Herzliche Grüße,

    Iris Kammerer

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  3. Liebe Frau Kammerer,

    Sie sprechen ein riesiges Problem mit der Goldenen Regel an: das wörtliche Verständnis, das wieder zum ius talionis zurückführt (Wie Du mir, so ich Dir.) bzw. zur unmoralischen Reziprozität bei unterschiedlichen Präferenzen und Interressen (Der Andere hat so zu sein wie ich, sonst hat er kein Recht auf moralische Behandlung, weil auch ich mir selbst nur dieses Recht gebe, weil ich so bin, wie ich bin.). Das Übersehen des ehrlichen Einfühlungsaktes, den die Goldene Regel anregen möchte, führt in der Tat zu erheblichen Missdeutungen, die aber - mit ein wenig gutem Willen - heilbar sind. Ich habe das mal in dem einschlägigen Artikel für Kathpedia zusammengefasst:
    http://www.kathpedia.com/index.php?title=Goldene_Regel

    Ansonsten kann ich Ihren Ärger über den Umgang mit Religion und Glauben (bzw. Religiösen und Gläubigen) sehr gut nachvollziehen.

    Kollegiale Grüße,
    Ihr
    Josef Bordat

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